„Das ist eine Krise und in der Krise müssen wir nicht genauso funktionieren wie sonst!
Warum ich tue, was ich tue
Ich bin seit zwei Jahren Beraterin im FrauenBerufsZentrum von Frauen im Brennpunkt. Davor habe ich Psychologie studiert und war unter anderem lange im betrieblichen Gesundheitsmanagement eines großes Konzernes tätig.
„Ich kann mich ganz gut erinnern, dass mein Vater einmal zu mir gesagt hat, dass ich beruflich machen kann, was ich will. Ich soll es einfach ordentlich und mit Freude machen. Da war immer alles möglich.„
Ich finde es großartig, dass wir im FrauenBerufsZentrum Frauen darin unterstützen können, selbstbestimmt zu leben. Wir arbeiten hier mit Frauen, die beim AMS vorgemerkt sind und eine Unterstützung beim Wiedereinstieg ins Berufsleben suchen. Die Klientinnen und ihre Lebensgeschichten und Wünsche sind so individuell wie die Frauen selbst. Die Beratung dauert drei bis sechs Monate. In dieser Zeit werden gemeinsam Pläne erstellt und Perspektiven geschaffen.
In meiner Arbeit motivieren mich besonders Erfolgserlebnisse – wenn ich sehe, dass meine Klientinnen in einen Job einsteigen oder eine tolle Qualifizierung, eine Weiterbildung, abschließen.
Rückblick auf eine Ausnahmesituation
Die vergangenen Monate waren für mich während des Erlebens ganz anders als im Rückblick. Wir haben keinerlei Beratungen in dieser Zeit abgebrochen, sondern via Telefon und Videokonferenz weitergemacht. Für meinen Beruf war ich glücklicherweise technisch bereits sehr gut ausgestattet, da ich immer mehrere Standorte betreue. In der Beratung habe ich bei Klientinnen häufig jene Angst gespürt, die ich auch selbst bei mir wahrgenommen habe.
„Viele hatten das Bedürfnis, über das zu reden, was da gerade passiert. Es ging oft darum, für die Frauen einfach da zu sein und mit ihnen gemeinsam die Situation auszuhalten, wirtschaftliche Unsicherheiten genauso wie gesundheitliche Ängste.„
Besonders im Bezirk Landeck war die Verbreitung des Virus ja relativ stark. Manche Frauen, die ich beraten habe, kannte ich bereits vorher persönlich, andere habe ich während der Quarantäne erst in der telefonischen Beratung kennengelernt. Das war besonders herausfordernd und spannend. Sehr schön war es dann, diese Frauen jetzt im Nachhinein erstmals „face to face“ zu treffen und nochmal neu kennenzulernen.
Das Private und Berufliche haben sich in dieser Zeit stark vermischt. Meine Kinder haben erstmals erlebt, dass ich zwar da bin, aber gerade keine Zeit für sie habe, da ich zu Hause arbeite. Das schlechte Gewissen war auch ein ständiger Begleiter für mich: Habe ich genug gearbeitet? Habe ich mir genug Zeit für meine Kinder genommen?
Meine Kinder sind beide im schulpflichtigen Alter und waren beide im Home Schooling. Hier mussten wir zuerst die technischen Voraussetzungen daheim schaffen. Sie haben dann sehr viele Arbeitsaufträge von der Schule bekommen, was uns alle stark gefordert hat. Ich habe mir dann irgendwann gedacht:
„Das ist eine Krise und in der Krise müssen wir nicht genauso funktionieren wie sonst!“
Das war wichtig, um den eigenen Drang zum Perfektionismus abschalten zu können. Ich habe mir gedacht: Die Kinder werden sich in einigen Jahren nicht an die einzelnen Schulaufgaben erinnern, sondern an die Stimmung in der Familie in dieser speziellen Zeit. Im Nachhinein konnten wir als Familie daraus auch sehr viel mitnehmen. Wir haben stundenlang miteinander gekocht und gebacken, Brettspiele gespielt und sind gemeinsam spazieren gegangen.
Was ich mir für Frauen wünsche
Ich wünsche mir, dass Frauen in einer gewaltfreien Umgebung leben, arbeiten und wirken können. Besonders wichtig finde ich, dass jede Frau eine Stelle findet, die ihrer Ausbildung entspricht, dass sie sich nicht unter ihrem Wert verkaufen muss. Und da ist noch so viel mehr, was ich jeder Frau wünsche: Selbstbewusstsein, eine faire Bezahlung und dass sie ihre Wünsche verwirklichen kann, frei von gesellschaftlichen, familiären oder finanziellen Umständen.
Für mich bedeutet Gleichberechtigung vor allem Chancengleichheit, schon vom jüngsten Alter weg. Es bedeutet auch, die Arbeit im Haushalt gerecht zu teilen. Und dass Frauen frei einen Lebensentwurf wählen können und sich dafür nicht rechtfertigen müssen, egal ob sie ihre Kinder selbst betreuen oder gleich wieder arbeiten gehen möchten. Dass sie sich unabhängig von dieser Entscheidung trotzdem vollwertig fühlen können.
Dieser Beitrag ist im Rahmen eines Interviews von Frauen im Brennpunkt mit Birgit Heidegger, Beraterin im FrauenBerufsZentrum, entstanden.
Mai 2020